Der Tod wiegt 32 Kilo

Ich sehe sie an. Schaue auf ihre knochigen Finger. Sehe die hand, die den Teller, auf dem sich Spagettis häufen wegschiebt. Meine Geduld ist am Ende ich schreie los:
“ Bis du des Wahnsinns? Ich stehe jeden Tag in der Küche und Koche. Und das ist der dank? Du wirst immer dünner und dünner! Die Zeit in der Klinik hat dir gar nichts genützt! Iss Verdammt noch mal was!“
Sie schaut mich fragend an. Steht vom Tisch auf und torkelt langsam die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Mich wundert es, dass sie überhaupt noch laufen kann. Ich bleibe fassungslos sitzen. Sie macht mir Angst. Seit Monaten schon hungert sie. Eine Ärztin ließ sie in eine Klinik für Essgestörte einweisen. Doch es nützte nichts. Sie weigerte sich zu essen, riss sich die Magensonden aus ihrem Leib, die ihr die Pfleger immer dann in den Körper schoben wenn sie nichts ass. Und kotzte alles was man ihr verabreichte aus. Ich weiß nicht wie sie es angestellt hat, doch so gut sich auch die Ärzte um sie kümmerten, sie nahm keinen Gramm zu.
Ich mache mir sorgen um sie. Kathrin ein fröhliches, normalgewichtiges und hübsches Mädchen, bis sie eines Tages aus der Schule kam und aufhörte zu essen.
Ich bezweifel nicht, das ihr neue Freundin Madeleine etwas damit zu tun hat, doch Kathrin selbst beteuert immer, das es ihre eigene Entscheidung gewesen sei abzunehmen und meint ich hätte mich nicht in ihr Leben einzumischen.
Jeden Tag läuft die gleiche Prozedur ab. Ich versuche sie zum essen zu bewegen, sie steht auf, schreit mich an oder geht einfach in ihr Zimmer wo sie sich den ganzen Tag einschließt.
Wenn ich sie mal dazu bewegen kann etwas zu essen, will sie immer gleich nach dem essen aufstehen und auf Toilette verschwinden. Doch ich halte sie fest. Passe auf das sie sich nicht übergibt. Auf die frage, wann sie das letzte mal ihre Periode gehabt hätte, reagiert sie erbost und antwortet immer bissig, dass mich das gar nichts angehe.
Ich laufe die Treppe zum Badezimmer hinauf. Ich nehme den Kamm in die Hand und Erstarre. Zwischen den Einzelnen Zacken des Kammes hängen braune, lockige Harre herab. Extremer Haarausfall. Ein weiteres Merkmal der Magersucht. Ich renne aus dem Bad und stürze in Kathrins Zimmer. Ich will grade los schreien, als ich sie Zusammen gekrümmt auf dem Boden in ihrem Zimmer liegen sehen „Mama! bitte Hilf mir. Ich kann nicht aufstehen.“ Sie weint! ich hebe sie hoch und lege sie auf ihr Bett. Sie ist Federleicht. „Was ist passiert?“ frage ich. „Ich bin an der Kannte meines Schreibtisches hängen geblieben und hingefallen. Ich komm nicht mehr hoch. Und dann kam dieser Mann.“ erzählt sie mir schluchzend. „Welcher Mann? Schatz! Du musst jetzt ehrlich zu mir sein: Wie viel wiegst du?“ „32 Kilo. siehst du nicht den Mann in seiner Schwarzen Kutte? Er steht direkt hinter dir!“ Ich fühle ihre Stirn. Sie hat Feber! Ich renne zum Telefon und verständige den Notarzt. Wieder in Kathrins Zimmer angekommen setzte ich mich neben sie aufs Bett! Mühsam gelingt es ihr, meine Hand zu nehmen. „Mama! Ich …ich will nicht. Es tut mir alles so schrecklich leid. Ich hätte auf dich hören sollen. Ich will essen. Bitte schick den Mann weg. Ich will nicht mit ihm mitgehen! Ich möchte dass alles gut wird! Bitte!“ sie weint leise. „Maus, alles wird gut. Gleich sind die Sanitäter hier.!“ versuche ich sie und mich selbst zu beruhigen. Ich lege ihren kopf auf meinen Schoß. „ja, es wird alles gut werden!“ Flüstert Kathrin und schaut mich mit ihren Augen an. Der Glanz ist aus ihnen gewichen. Sie schließt die Augen.